Sprachen, die jeder versteht

Über die Hotelbar als Ort der Begegnung in einer fremden Umgebung. Wo es nichts gibt, was in der Translation verloren gehen könnte.

Foto von Four Seasons
Text von Alexander Rabl

Das Park Hyatt Tokyo Hotel in Shinjuku, ein Ort der Begegnung, wenngleich nicht zu vergleichen mit einer Messe im Petersdom. Hier treffen ein abgehalfterter US-Schauspieler, der Werbung für Whisky macht, und die junge Freundin eines amerikanischen Fotografen einander im Niemandsland, an der Bar bei einem Drink. Man lernt einander kennen und trotz des ­Altersunterschieds lieben. Wenn es eine perfekte Werbung für Hotelbars geben könnte, in denen sich Reisende und Expats treffen, aufeinandergeworfen durch den Zufall, Lebensläufe, geschickt gemixt wie roter Wermut und Bourbon oder Gin mit Campari, dann ist das Sofia Coppolas zweiter Film Lost in Translation. Niemand von uns ist Bill Murray, und selten wird man am Tresen einer Hotelbar von Scarlett Johansson angesprochen. Aber das Drehbuch, in dem die Bar eines guten Hotels der Katalysator ist zwischen dem Reisenden und der Stadt, in der er sich gerade aufhält, stimmt schon. Oft sind es die Leute hinter dem Tresen, die den ersten Drink empfehlen und neben dem Rezept auch ein paar Geheimnisse verraten, die der Gast dringend benötigt. Lost in Translation? Martini oder Old Fashioned? Das ist eine Sprache, die jeder versteht.

Bangkoks Park Hyatt ist das Four Seasons at Chao Phraya River, unweit errichtet von den Platzhirschen Mandarin Oriental und dem Penninsula. Deren Bars haben keine Chance gegen die Bar des Four Seasons, sie hört auf den Namen BKK Social Club, und der Name ist die Botschaft. Dies ist keine Rooftop-Bar, also blickt man nicht auf die Skyline einer Stadt (das BKK Social liegt ebenerdig), sondern auf einen prächtig herauspolierten und beleuchteten Tresen. Die Mitarbeiter tragen weiße Uniformjacken. Die Auffahrt mit Limousinen vor dem Hotel ist ebenso prächtig wie der Marsch durch die Lobby Ehrfurcht ­gebietend. Hier trifft man beim Aussuchen einer der kräftig überteuerten Zigarren aus dem schrankgroßen Humidor möglicherweise auf einen freundlichen Barmitarbeiter namens Philip Bischoff. Der gebürtige Berliner leitet die Bar des Four Seasons und macht auch den Beverage Manager. Er ist jeden Abend vor Ort, die Cocktails mixen aber seine Mitarbeiter. Das BKK Social bietet unter anderem einen Flight aus vier verschieden komponierten Negronis.

Der Hausmartini kommt zum Teil im klassischen Glas, der andere Teil in einer Minikaraffe auf Eis. „So bleibt der Drink bis zum letzten Schluck kalt“, so Bischoff. Oliven oder Zitronenschale sind fakultativ. Einen Platz am Tresen zu kriegen gleicht einem Kunststück und ist ein Zeichen wirklich guter Beziehungen zum Barpersonal. Das Publikum: gut ausgestattete junge Thais, manche Expats und Neuankömmlinge, die nicht unbedingt im Hotel wohnen. Was sie eint: Der Name Social wird ernst genommen. Philip ­Bischoff, vormals Berlin, dann Singapur, seit dem Opening des Four Seasons im BKK dabei: „Die Bar ist immer ein sozialer Treffpunkt. Egal, ob man fremd in einer Stadt oder es die Heimatstadt ist. Es ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen, oder auch nur für sich sein können.“ Bischoff ist seit zwanzig Jahren in der „Indus­try“, wie es im Englischen heißt, tätig. Eigentlich wollte er Health Management studieren. Ein gütiges Schicksal verschlug Bischoff in die Richtung des Event-Caterings und der High-End-Mixology. „Zu dieser Zeit hatte ich das Privileg, schon einige Events, ­Messen und Wettbewerbe erlebt haben zu dürfen, und das hat mir geholfen, viele Kollegen kennenzulernen.“ Zehn Jahre später ist er immer noch gut vernetzt, aber an der Spitze einer der besten Bars in Asien. „Eigentlich galten bis vor Kurzem New York oder London als die wichtigsten Städte der Barkultur, wenngleich Paris und andere Städte in Kontinentaleuropa gute Figur machen.“

Die Bar Hemingway im Ritz am Place Vendôme, die Bar des Hotels Vier Jahreszeiten im Hamburg, eine Winzigkeit in Holz und feinstem Leder wie ihre Schwester in Paris, die Bar Longhi des Gritti Palace in Venedig: Was diese Bars weltweit so besonders macht, weiß Reinhard Pohorec. Er sagt: „Spirituosen einkaufen kann bald einmal wer, aber die besten Leute im Service anzubieten, den höchstmöglichen Standard zu leben, das ist es, was die besten Hotelbars gemeinsam haben.“ Pohorec ist Bartender, führt mit der Tür 7 eine der besten Bars in Wien und arbeitet außerdem international als Bar-Consultant. Er schreibt eine Karte für die Bar des Hotels XX und trainiert die Mitarbeiter. Das Bargeschäft hat er in einer der besten und berühmtesten Bars der Welt gelernt, der American Bar des Hotel Savoy in London; ebenjenes Savoy, in dem einst Auguste Escoffier kochte, mithin einer der Orte mit besonders zivilisierter Gastronomie. „Ich habe mich vom Lehrling zum Barkeeper hinaufgearbeitet“, sagt Reinhard Pohorec, der in den vergangenen Jahren so ziemlich alle Wettbewerbe, an denen er teilgenommen hat, mit Erfolg abgeschlossen hat. Die American Bar des Savoy steht für einige der großen klassischen Cocktails wie den Hanky Panky oder die White Lady. Pohorec selbst verfügt über eine bemerkenswerte Sensorik, sein Talent ließ ihn schon bald interdisziplinär experimentieren, also die klassische Welt der Martinis, Mai Tais und Old Fashioneds hinter sich lassen und Elemente der Küche in die Welt der Cocktails integrieren.

Natürlich kennen Bischoff und Pohorec einander, die Welt der Cocktail-Größen ist überschaubar. Pohorec über seine Lehrzeit, die nun schon etwas zurückliegt: „Bei uns im Savoy wurde stets darauf geachtet, dass nicht nur alles perfekt funktionierte, sondern auch immer die Seele bei der Arbeit dabei war, es gab keine auswendig gelernten Sprüche.“ Das Publikum im Savoy habe sich aus Superprominenten und VIPs zusammengesetzt. „Wir mussten mehrere Geheimhaltungspflicht-Formulare unterschreiben und bestätigen, dass wir nicht über unsere Gäste reden.“ Dann hatte man Stammpublikum aus der Stadt, „manche kamen nach zwanzig Jahren wieder, vielleicht weil sie Hochzeitstag hatten“, daneben gäbe es die Bar-Nerds und Cocktail-Geeks und schließlich die Gäste, die in der Bar vor Anker gehen, weil sie die Stadt erforschen wollen. „Mit Fingerspitzengefühl leitet man diese Gäste, gibt Hinweise, legt Verbindungen. Du bist der Intendant, der Dirigent des Erlebnisorchesters, manchmal bringt man auch Leute zusammen.“ Warum nicht in irgendeine angesagte Bar der Stadt oder einfach ein Weinlokal? „Die Hotelbar wirkt offener, freier als die lokale Bar. Das Angebot ist klassisch, verlässlich. Man trifft Bartender aus aller Welt und Gäste aus aller Welt. Die Hotelbar ist ein Ort des Social Networks, in dem der Bartender nicht nur Cocktails mixt, sondern auch Geschichten auftischt und ein bisschen den City Guide macht. Höchst diskret, versteht sich. Der neugierige Gast der Hotelbar muss nur eines tun: zuhören und darauf achten, dass er nicht zu viele Martinis und Negronis zu sich nimmt, damit er sich am nächsten Morgen an all die wertvollen Informationen auch erinnern kann. —

High-End-Mixology: Die Bartender in weißen Uniform­jacken mixen z. B. ­einen Flight aus vier verschieden komponierten Negronis.
© Four Seasons
© stefanotrabison

„Du bist der Intendant, der Dirigent des Erlebnisorchesters.“
Reinhard Pohorec, Bartender, Tür 7, Wien