Wie viel Gastro braucht ein Hotel?

Zwischen Frühstücksservice und Vollpension. Die gastronomischen Anforderungen an Hotels haben sich über die Jahre zum Teil gewaltig verändert. Wie viel Gastronomie braucht also ein Hotel – und welche Bedeutung hat dabei die Spitzengastronomie?

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Text von Georges Desrues

In einem fremden, unbekannten Land: Wo soll man Freude finden, wie soll man gut essen, was soll man tun, wie soll man es tun? Regel Nummer 1: „Verlassen Sie das Hotel so schnell wie möglich!“ Genau dieser, einst vom verstorbenen Food-und Reisejournalisten Anthony Bourdain aufgestellten Regel versuchen sich immer mehr Hoteliers entgegenzustellen – mit Gastrokonzepten, die sich nach den veränderten Erwartungen der Gäste richten.

Mit Ende der letzten Wintersaison war es schließlich so weit und das Almhof Schneider in Lech, eines der renommiertesten und luxuriösesten Hotels im ganzen Land, schloss sein Fine-Dining-Restaurant endgültig. „Es hatte einfach keinen Sinn mehr“, erzählt die Hotelière Katia Schneider, „jedes Jahr bei Saisonbeginn mussten wir ein neues Küchenteam zusammenstellen, was immer schwieriger wurde. Noch dazu, wo die allermeisten unserer Gäste sowieso lieber etwas Bodenständiges beziehungsweise Lokaltypisches essen wollten.“ Und so hat man das Hauptrestaurant, die sogenannte Wunderkammer, um die Räumlichkeiten des ehemaligen Fine-Dining-Restaurants erweitert und serviert dort hauptsächlich Klassiker der österreichischen Küche. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere vornehmlich internationalen Gäste inzwischen lieber zu Hause in gehobene Restaurants gehen, beim Skiurlaub in Lech indessen eben die regionalen Speisen, oder aber eine Küche bevorzugen, bei der Leichtigkeit und Gesundheit im Vordergrund stehen. Und wenn sie einmal auf die Halbpension verzichten, um auswärts zu essen, dann gehen sie lieber auf irgendwas Uriges, auch Kinderfreundliches wie Fondue, Raclette oder Pizza“, sagt Schneider.

Wer braucht noch Hummer?
Dass sich in der Hotelgastronomie in den letzten Jahren, in Zeiten von Pandemie und Personalmangel, einiges verändert hat, auch, was die Wünsche und Ansprüche der Gäste betrifft, berichten die allermeisten Hoteliers. Für viele von ihnen wird es immer schwieriger, personal- und kostenaufwendige Spitzenküche in ihren Betrieben anzubieten. Lange vorbei sind freilich die Zeiten, als sich betuchte Gäste auch in Luxushotels in den Alpen Hummer und Jakobsmuscheln erwarteten. Solches und ähnliches „Ortsfremdes“ verarbeitete etwa Norbert Niederkofler im Restaurant St. Hubertus im Südtiroler Hotel Rosa Alpina noch in den 2010er-Jahren. Bis auch er auf den Trend zu lokalen Zutaten aufsprang, ein Konzept namens „Cook The Mountain“ entwickelte und prompt seinen dritten Michelinstern einheimste. Doch ganz scheint es so, als sei in der Hotelbranche heutzutage nicht nur die internationale Haute Cuisine aus der Mode geraten, sondern die Haute Cuisine ganz allgemein. Und so schloss auch das St. Hubertus in seiner „Radical local“-Version nach der vergangenen Wintersaison endgültig, ohne dass die Hotelbetreiber bislang bekannt gegeben hätten, welches Konzept dem Dreisternerestaurant nachfolgen werde.

Es braucht Leidenschaft
Einer unter den Alpin-Hoteliers, der von alledem unbeeinflusst auf Spitzengastronomie in seinem Betrieb setzt, ist indessen Joschi Walch vom Hotel Rote Wand im hochgelegenen Weiler Zug bei Lech. „Bei uns ist die gehobene Küche einfach Teil des Gesamtkonzepts und für viele Gäste und Stammgäste einer der Hauptgründe, warum sie bei uns buchen“, sagt Walch, dessen Restaurant Chef’s Table zu den bekanntesten und renommiertesten Vorarlbergs, ja des gesamten Landes zählt. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass der Weiler Zug noch deutlich abgelegener ist als Lech, sodass man dort nicht einfach und spontan in ein anderes Restaurant ausweichen kann. In Wahrheit verstehe man die Lokale auch nicht als Hotelrestaurants, sondern ganz einfach als Restaurants, die sich auch an Nicht-Hotelgäste richteten. Was ganz gut gelinge, wenn man die Auslastung betrachte, wie er sagt.

Die Frage, ob sich die Gastronomie in seinem Betrieb auch wirtschaftlich rechne, beantwortet der Hotelier indirekt und mit einem Lächeln. „Also mit dem Rechenstift oder dem Taschenrechner sollte man da eher nicht rangehen“, so Walch, „aber dank unseres Restaurants Chef’s Table und unserer Gastronomie im Allgemeinen wird immer wieder über uns gesprochen und in den Medien und Lokalführern berichtet. Was in jedem Fall eine deutliche Umwegrentabilität bedeutet.“ Wobei anzumerken ist, dass gerade das Chef’s Table mit einem zumindest fürs Gastgewerbe in den Alpen gleichermaßen unorthodoxen wie vergleichsweise personalsparenden Konzept arbeitet: Anstatt an Tischen sitzen die Gäste an einem Tresen, der sich rund um die Küche zieht und an dem das Küchenpersonal den Service übernimmt. Ein System, wie man es bislang nur aus Großstädten wie New York kannte.

Das Geschäft mit den Stars
Dort, nämlich in Großstädten, arbeiten Hoteliers freilich unter ganz anderen Bedingungen als ihre Kollegen von der Ferienhotellerie. Wobei Großstadt nicht gleich Großstadt ist. In Paris etwa arbeiten die meisten Palasthotels mit Starköchen zusammen – man denke nur an Alain Ducasse im Le Méridien, an Jean Imbert, Ducasses Nachfolger im Plaza Athénée, oder an Niko Romito im Bulgari. Doch auch in der viel besuchten französischen Hauptstadt häufen sich Fälle von Luxushotels, die lieber auf Bodenständigkeit setzen. Wie etwa das Fünf­sternehaus und Jugendstiljuwel Lutetia, das nach einer Generalsanierung auf sein Fine-Dining-Restaurant verzichtete und an dessen Stelle nun eine Brasserie mit 180 Sitzplätzen betreibt.

Andererseits gibt es in Paris wie in einigen anderen Städten auch immer mehr Hotels, die ausgezeichnet bewertete beziehungsweise berühmte Küchenchefs bezahlen, um sich mit deren Namen zu schmücken, von denen sie sich einen deutlichen Imagegewinn versprechen. Besonders verbreitet ist der Trend etwa in Dubai, wo man in Hotelrestaurants bei Küchenchefs wie José Avillez, Massimo Bottura, Mauro Colagreco, Daniel Boulud, Jean-Georges Vongerichten und etlichen weiteren speisen kann. Zu Gesicht bekommen wird man die Superstars dabei aber kaum. In der Regel haben sie lediglich das Konzept abgeliefert, waren bei der Eröffnung und im Anschluss noch ein paar Tage dabei und lassen sich danach einen ausgehandelten Anteil des Umsatzes für die Verwendung ihres prestigereichen Namens bezahlen.

Wien ist anders
In Wien sind solche und andere Arten der Kooperationen zwischen Hotels und Starköchen allerdings weit seltener. „Für Pariser beispielsweise ist es ganz normal, in ein Luxushotel hineinzuspazieren, um dort zu Mittag oder zu Abend zu essen“, sagt Joschi Walch, „während es für Wiener eher unüblich ist und so etwas wie das Restaurant Korso des verstorbenen Reinhard Gerer im Ringstraßenhotel Bristol vielmehr als Ausnahme gelten kann.“ In der Tat setzt man auch im altehrwürdigen Wiener Hotel Sacher mehr auf Tradition als auf Kreation. „Das Sacher ist nun einmal sehr eng mit Wien verbunden, darum wollen wir in unserem Hauptrestaurant, der Roten Bar, eher eine klassische Wiener Küche bieten“, sagt Alexandra Winkler, Co-Eigentümerin und Geschäftsführerin. „In unserem Fall muss sich das Gastronomiekonzept in jenes des Hauses einfügen, weswegen Bewertungen unserer Küche in Guides freilich willkommen, nicht aber unser primäres Ziel sind.“ Über zu wenig lokale Gäste in seinem Restaurant könne sich das mythische Hotel jedenfalls nicht beschweren, betont die Hotelière, vielmehr sei die Rote Bar ein Ort der Begegnung und des Austausches zwischen Wiener Gästen und international Reisenden. „Natürlich geht der Restaurantbetrieb mit einem erheblichen Personalaufwand einher“, fährt Winkler fort, „rechnen muss er sich aber dennoch, was dank unseres Konzepts auch der Fall ist. Denn würden wir ein Spitzenrestaurant wie etwa das Steirereck führen, wäre der Aufwand mit Sicherheit deutlich höher.“

Es braucht die Locals
Einen etwas anderen Zugang pflegen die sogenannten Lifestyle- Hotels, die in Wien und anderswo in den letzten Jahren geradezu aus dem Boden schossen. „Selbstverständlich wollen wir mit der Gastronomie auch Geld verdienen“, bekennt Christoph Hoffmann, Gründer der Hotelkette 25hours, die ­alleine im letzten Jahr Häuser in Städten wie Florenz, Dubai und Kopenhagen eröffnete, „was uns in den allermeisten Fällen auch gelingt, selbst wenn die Margen, allein schon wegen des Personalaufwands, eher gering sind.“ Genau wie Alexandra Winkler vom Sacher glaubt auch Hoffmann, dass das Restaurant dem Stil des Hotels zu entsprechen hat. Allerdings richtet sich die Gastronomie in seinen Häusern ganz explizit und in erster Linie an Einheimische, wie er betont. „Wir wollen eine Gastronomie, in der Leben herrscht. Was der Grund ist, warum wir das klassische Hotelrestaurant genauso kategorisch ablehnen wie den klassischen Frühstücksraum“, sagt Hoffmann. „In manchen Fällen bemühen wir uns sogar, das Restaurant so wirken zu lassen, als sei es kein Teil des Betriebs. Etwa, indem es einen eigenen Eingang bekommt beziehungsweise über das Hotel gar nicht erreichbar ist.“

Teil der Betriebsphilosophie sei nämlich, dass, wenn die Einheimischen kommen, die Gäste folgen würden. Erich Bernard vom Wiener Architekturbüro BWM hat sowohl fürs Sacher als auch für die 25hours-Gastronomielokale als Planer gearbeitet und schätzt die Situation ähnlich ein wie Hoffmann und Winkler. „Heutzutage sind immer mehr Reisende auf der Suche nach Authentizität und wollen auch während sie im Hotel sind etwas von der Region beziehungsweise der Stadt mit­bekommen, in der sie sich aufhalten“, sagt Bernard, „deswegen entscheiden sich gerade in der Stadthotellerie viele für Konzepte, die in erster Linie dazu gedacht sind, die Einheimischen anzusprechen.“

Fine Dining als Schwelle
Ein Ziel, das mit Fine-Dining-Lokalen deutlich schwieriger zu erreichen sei, wie Bernard glaubt. „Fine-Dining-Lokale besuchen Einheimische nur fallweise, bisweilen sogar nur zu besonderen Anlässen. Benötigt wird aber vielmehr eine Regelmäßigkeit und eine Atmosphäre, wie sie die Spitzengastronomie im Normalfall nur schwer bieten kann.“ Darum seien Hoteliers gut beraten, so der Architekt, ihre Häuser weniger als Unterkunftsbetriebe für Reisende zu platzieren, in denen man auch etwas zu essen bekommt, sondern vielmehr als Restaurants für Einheimische, in denen auch Zimmer für Reisende angeboten werden. —

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„Die meisten unserer Gäste essen im Urlaub lieber etwas Bodenständiges beziehungsweise Lokaltypisches.“
Katia Schneider, Almhof Schneider, Lech am Arlberg

© Stephan Lemke

Wir wollen eine Gastronomie, in der Leben herrscht. Darum lehnen wir das klassische Hotelrestaurant genauso ab wie den klassischen Frühstücksraum.“
Christoph Hoffmann, 25hours Hotels

© Rote Wand Gourmet Hotel/Ingo Pertramer

„Mit dem Rechenstift sollte man da eher nicht rangehen, aber unser Chef’s Table bringt eine deutliche Umwegrentabilität.“
Joschi Walch, Rote Wand, Zug/Lech am Arlberg

© Jakob Gsoellpointner

„Bei uns muss sich das Gastronomiekonzept in jenes des Hauses einfügen. Gute Bewertungen in Guides sind willkommen, aber nicht unser primäres Ziel.“
Alexandra Winkler, Sacher, Wien

© BWMDesignersArchitects/Renee del Missier

„Im Idealfall wirkt das Hotelrestaurant wie ein Restaurant für Einheimische, das daneben auch Zimmer für Reisende anbietet.“
Erich Bernard, Architekturbüro BWM